An diesem Tag

Ich wünsche allen Kindern einen friedlichen Tag und Abend und ebensolche Erwachsene um sich drum herum. Lasst euch die Geschichte von dem Baby erzählen, das geliebt auf die Welt kam und über dessen Geburt sich so viele Menschen aus ganz unterschiedlichen Herkünften mächtig freuten. Fühlt euch heute und an allen anderen Tagen des Jahres ebenso willkommen, umsorgt, beschützt und geliebt. Das wünsche ich euch.

Schlafen

Ich weiß aus den Krabbelstuben, dass es Eltern gibt, die morgens regelmäßig ansagten, dass die Kleinen vom Mittagsschlaf abhalten werden sollten, damit sie am Abend rechtzeitig einschlafen würden. Manche Erzieher*innen gehen darauf ein, da sie keinen Stress mit diesen Eltern wollen und kämpfen dann nach dem Mittagessen einen elendigen Kampf mit den Kleinen. Es waren, Überraschung!, übrigens die gleichen Eltern, die dann später in Elterngesprächen im Kindergarten darüber klagten, dass ihre Kinder einen völlig verquerten Schlafrhythmus entwickeln würden. Und ich nehme an, dass das auch die Eltern sind, die später schneller in die Ritalinfalle tappen werden.

Meine Erfahrung ist, dass jedes Kind seinen ganz und gar eigenen Weg findet eine ihm angemessene Balance zwischen Wachen und Schlafen zu finden. Wenn man ihm einfach Raum und Zeit dafür gibt. Das bedeutet nicht, dass es ab einem bestimmten Alter keine festen ZuBettGehZeiten mit abgesprochenen und verbindlichen Ritualen und Regeln geben wird. Ich würde jedoch nie zu einem Menschen, egal ob groß oder klein, sagen, dass er jetzt schlafen müsse. Ihr erinnert euch: Druck erzeugt Gegendruck und die Aufforderung jetzt nicht an einen blauen Delphin zu denken ist kaum lösbar. Es gibt so viele wunderbare Möglichkeiten um in Ruhe zu kommen. Lasst eurer Fantasie freien Lauf und probiert gemeinsam aus, was passt.


Selbstverteidigung

Da schickt man Kinder in Selbstverteidigungskurse und übersieht manchmal, dass die Grundlage für alle Selbstverteidigung in dem Begriff des "Selbst" liegt: Selbstachtung, Selbstwert, Selbstwirksamkeit. Das erste Nein des kleinen Kindes, das akzeptiert und b(g)eachtet wird, ist der Grundstein für all diese Selbst. Ohne das funktioniert es einfach nicht.

Die Verteidigung des eigenen Selbst ist unverbrüchlich verbunden mit der Kenntnis über die eigenen Grenzen. Dies geht weit über die rein körperlichen Grenzsetzungen hinaus. Körperliche und seelische Gewalt sind Grenzüberschreitungen. Damit der Mensch diese erkennt und abwehren kann, muss er von klein auf die Möglichkeiten haben, sich seinem Selbst bewusst zu werden. Erst nachdem ich lernen und ausprobieren durfte, wer ich bin und wo meine Grenzen sind und wo ich eine Überschreitung derselben nicht dulden will, kann ich mir Strategien und Methoden aneignen, diese Grenzen zu kommunizieren, zu schützen und zu verteidigen. Ein lebenslanger Weg, der jedoch quasi mit der Geburt beginnt. Gerade in den ersten Lebensjahren werden die Grundlagen für all die möglichen Abzweigungen und Verirrungen auf diesem Weg gelegt. Dies gilt es im Umgang und in der Begleitung von kleinen Kindern immer im Auge zu behalten. 

Was du nicht willst...

Immer mal wieder werde ich gefragt, nach welchem pädagogischen Konzept ich denn meine Kinder erzogen hätte bzw. nach welchem ich denn mit Kindern arbeite. Wisst Ihr, so einfach ist das nicht oder besser, es ist viel einfacher. Es geht letztendlich um ein ganz bestimmtes Menschenbild, das man in sich trägt, vorlebt und damit auch weiter gibt. Alles andere ist nur Staffage. Und geholfen, so wirklich geholfen in vielen brenzligen„Erziehungs“Situationen hat mir immer diese eine Frage: Wie würde es mir gehen, wenn sich jemand in dieser Situation so oder so mir gegenüber verhalten würde? Damit war die Grundlinie eigentlich sofort gefunden und es gab wenige Verirrungen.
Diese Frage ist übrigens auch ein sehr hilfreicher Führer durch all die Erziehungsratgeber und all die Tipps von ach so schlauen Besserwissern, die immer mit Argusaugen um einen zu kreisen scheinen.

Selbstregulierung

War es die letzten Monate so, dass KleinMadame (21 Monate alt) bei einem „Nein“ völlig empört reagierte und durchdrehendes Drama schob mit Geschrei und Geheule, so ist es seit einigen Tagen anders: Sie zieht eine Schnute, stampft erhobenen Hauptes in ihr Zimmer, schimpft dort wie ein Rohrspatz und erzählt ihren Pferden, welche bösen Monster ihre Erwachsenen jeweils gerade seien. Nach einer Weile kommt sie dann frohgelaunt wieder zurück, so als wäre gar nichts passiert. Sie hat für sich einen Weg gefunden, wie sie aktuell ihre überbordenden Gefühle selbst regulieren kann.


Ich habe diesen Entwicklungsschritt auf diese oder ähnliche Art und Weise im Laufe meines Lebens mit Kindern schon sehr oft erlebt und bin der festen Überzeugung, dass dies nur geschehen kann, wenn die Phasen vorher ohne Wertung und großes erzieherisches Tamtam zugelassen und liebevoll begleitet wurden.

Wir haben uns, im Beispiel von KleinMadame, schlichtweg nicht durch ihre dramatischen Auftritte aus der Ruhe bringen lassen, sondern haben ihr durch leise zugewandte Worte immer mitgeteilt, dass wir ihre Wut durchaus verstehen können und wenn sie keinen anderen Weg wüsste, damit umzugehen, dann solle sie halt schreien und toben. Sie war nie alleine mit ihren Gefühlswallungen, die vor allem für sie selbst sehr verwirrend und äußerst anstrengend waren. Und sie konnte jederzeit in die Arme oder auf den Schoss kommen um getröstet zu werden. Wir versuchten bei den Trotzanfällen eine ruhige und warme Atmosphäre zu schaffen und gleichbleibend zu signalisieren: Ich bin da für dich. Die „Neins“ allerdings, die es ja nur sehr selten und bedacht bei uns gibt, haben wir nie zurück genommen.

In solchen Situationen oder Phasen, die fast alle Kinder in diesem Alter durchlaufen, sind nach meinen Erfahrungen zwei Verhaltensweisen der Erwachsenen besonders kontraproduktiv: Laut schimpfen und/oder sich durch das Schreien und Toben des Kindes dazu hinreißen zu lassen, ein Verbot, ein Nein in dieser konkreten Situation zurückzunehmen.

Mit ersterem erzeugt man einen Druck, der das Kind und einen selbst immer weiter in den Kreis einer ausweglosen Situation hinein schleudert. Es entsteht ein Kampfszenario, das dann nach einer Weile gar nichts mehr mit seinem ursprünglichen Inhalt zu tun hat. Gleichzeitig signalisiert man damit dem Kind, dass man, obwohl man doch sooo groß ist, sein Elend und die Hilflosigkeit durch die aufkommenden Gefühlswallungen nicht verstehe und ihm auch nicht helfen und es nicht schützen könne, da man ja anscheinend selbst in den eigenen Gefühlen der Wut verheddert ist. Das macht noch mehr Wut, oder besser, es macht dem Kind Angst. Angst vor seinen überbordenden Gefühlen und Angst vor dem zürnenden Erwachsenen, der seine Gefühle anscheinend auch nicht im Griff hat. Aus diesem Gefühlsmischmasch kommt es alleine nicht mehr raus. Und der Erwachsene oft auch nur auf Umwegen. Meistens enden solche Szenarien in einem reinen Machtgebrauch des stärkeren Erwachsenen. Die Folgen kennen wir.

Im zweiten Fall gilt: Gibt man dem unregulierten Toben nach, dann lernt das Kind, dass dies wohl eine angemessene Form sei um seine Vorstellungen durchsetzen zu können. Es muss, vor allem wenn beide Verhaltensweisen der Erwachsenen immer wieder zusammen fallen (erst schimpfen und dann nachgeben in der Sache, weil der Erwachsene eben oft nicht weiß, wie er sonst wieder aus dem Geschehen heil raus kommt), zu der Erkenntnis gelangen, dass es nur lauter und länger Schreien müsse und es bekäme, was es zu wollen meine.

Mit dem Lernen einer selbstständig autonomen Affektregulierung allerdings hat das alles nix zu tun. Auf einer sehr unbewussten Ebene weiß oder spürt das auch das Kind. Ich habe nie erlebt, dass ein Kind, nachdem es durch Schreien und Toben seinen Willen bekam, wirklich entspannt zufrieden war. Da blieb eine wachsende innere Unruhe und Verwirrung zu spüren. Wie sollte es denn auch zufrieden sein können, wenn sein Erwachsener, der es doch schützen, behüten, dem es doch total vertrauen können muss, wenn sich dieser Erwachsene von seinen, das Kind doch selbst schrecklich beängstigenden, Gefühlsausbrüchen so lenken lassen ließ? Das verunsichert und macht Angst, ganz furchtbare Angst.

Wie immer gilt: Kinder lernen durch Vorbilder. Indem wir selbst ruhig und gelassen durch die Stürme des Tobens und Aufbegehrens der kleinkindlichen Emotionen bei den ersten Neins gehen, es weiter durchgängig liebevoll behandeln, nicht abweichen von dem von uns als richtig und notwendig empfunden „Nein“ in der konkreten Situation, zeigen wir ihm einen Weg aus seinen emotionalen Nöten: Gefühle können Angst machen, aber sie sind okay. Ich darf sie haben und es ändert sich dadurch nichts an der Liebe und Zuwendung meiner Erwachsenen für mich. Ich kann mich auf sie verlassen. Auch auf ihre Neins. Ich kann meine Gefühle auch auf andere Art und Weise ausdrücken. Ich darf das ausprobieren.

Wenn das oft genug durchgespielt wurde, oft genug erlebt werden durfte, erst dann ist, meiner Meinung nach, der Weg frei für eigene Versuche des Kindes seine Affekte selbst zu regulieren. Und die Kleinen sind darin dann erstaunlich kreativ, denn auch sie haben überhaupt keine Lust auf all die Anstrengungen, die entstehen, wenn sie immer wieder von unkontrollierten Gefühlen überrollt werden. Ich vertraue ihnen da total.  

*Anmerkung

Wenn diese Phasen überwunden sind, meistens enden sie mit der sicheren Beherrschung der Sprache, dann gilt es zu lernen, auf beiden Seiten, dass man über „Neins“ sehr wohl auch diskutieren und sie hinterfragen kann. Ein ganz neuer, spannender Spaß dann *kicher

Spiegel

Kinder sind Seismographen für unsere "Schatten" und sie spiegeln uns perfekt, wo es bei uns hakt und knirscht. Ich habe das immer als etwas Positives empfunden, weil es mich aufforderte da hinzugucken bei mir, wo ich von selbst nicht gerne hingeguckt hätte. Ich erinnere mich, dass besonders meine kleine Tochter damals höchst emphatisch auf meine inneren Zustände reagierte und ich ab und an zum Elterngespräch im Kinderladen gerufen wurde und gegen meine Erwartungen nicht nach dem IstZustand der kleinen Dame, sondern nach dem meinem gefragt wurde. Und siehe da, ja, der kleine Spiegel funktionierte immer. Bequem ist was anderes, lehrreich und bereichernd war es immer.

Verzicht?

Es ist nicht die Aufgabe eines Kindes, dich glücklich und zufrieden zu machen, deine Erwartungen zu erfüllen, vor Dankbarkeit für deine Fürsorge und liebevolle Zuwendung durchs Leben zu kriechen oder deine ungelebten Träume zu erfüllen. Ein Kind ist auch kein Partnerersatz und es ist auch nicht verantwortlich für dein Seelenheil. Es ist kein Lückenfüller für deine inneren Leerstellen und es trägt auch keine Schuld für irgendwas in deinem Leben.   
Kinder haben keine Aufgaben und keinen Auftrag wenn sie auf die Welt kommen.  
Was du für dein Kind tust, tust du, weil du dich dafür entschieden hast. Du tust es für dich. Deine Entscheidung, deine Verantwortung. Also hör auf, ihm dauernd Rechnungen zu stellen und von Ausgleich und Schulden zu sprechen.

„Aber ich habe doch für das Kind auf so vieles in meinem Leben verzichtet!“

Du hast nicht verzichtet, sondern du hast Entscheidungen getroffen. Dein Kind hat keine Forderungen an dich gestellt, sondern du hast dich dafür entschieden, dein Leben so umzustrukturieren, dass es für dich einfacher, bequemer, machbarer ist so und so, nach deinen Vorstellungen, mit dem Kind zu leben. Du hättest dich auch ganz anders entscheiden können. Jede Mal. Es waren und sind deine Entscheidungen, nicht die des Kindes. Also verteile nicht Schuld, wo es doch gar nichts zu verteilen gibt.

Auch wenn es da ein Kind an deiner Seite gibt, so ändert dies nichts an deiner alleinigen Verantwortung für dein Glück, deine Zufriedenheit, für die Befriedigung deiner Bedürfnisse, für die Gestaltung deines Alltages und für dein Leben. 

Kindliche Sexualität

"Man darf kindliche Sexualität niemals durch die Brille der erwachsenen Sexualität sehen".

Guter Artikel als Einstieg zu einem immer noch (oder wieder?) großen Reizthema. 

Meine Haltung dazu: Kinder erforschen ihren Körper. Kinder stellen fest, dass Berührungen Gefühle auslösen können. Die können gut oder auch schlecht sein. 

Kinder sind neugierig, probieren aus und stellen Fragen. Wenn gefragt wird, wird dem Alter entsprechend genau diese Frage beantwortet. Ansonsten werden alle Körperteile unbefangen benannt.

Ja, Kinder dürfen sich zurückziehen und untereinander/miteinander Nackedei Spiele spielen. Und ja, in den Einrichtungen sind solche Rückzugsräume auch zu schaffen und zu gestalten.

Meine Erfahrung: Ich gestalte sie so im Raum, dass ich immer alles mitbekomme und schnell eingreifen kann, ohne dass die Kinder das subjektive Gefühl haben unter Beobachtung zu stehen. Und natürlich ist es meine Aufgabe als Erwachsener dafür Sorge zu tragen, dass es geschützte Räume sind, meint: Ich achte darauf, dass andere Erwachsene da nicht rein platzen. Ich sorge dafür, dass jedes beteiligte Kind von mir geschützt werden kann. Ich beobachte in dieser Phase sehr genau und weiß, wo die einzelnen Kinder aktuell stehen und welche Beziehungsstrukturen es in der Gruppe und zwischen den einzelnen Kindern gerade gibt.

Drumherum gehört in diese Entwicklungsphase viel lesen, sprechen, spielen rund um das Thema Körper, Grenzen setzen und akzeptieren, ein Nein ist ein Nein, Mein Körper gehört nur mir...
Es gibt da mittlerweile eine Menge gutes Material  und Anregungen dazu.

Letztendlich gilt aber auch hier: Ich lebe es vor: Ich frage das Kind, jedes Mal! bevor ich es anfasse, wickle, aus-/anziehe, tröste, hochhebe, etc.., ob es mir erlaubt, dies zu tun. Das hört sich so einfach an, ist jedoch in der Realität oft gerade für Anfänger gar nicht so einfach konsequent durchzuhalten. Aber, es ist etwas absolut Grundlegendes, weil das Kind vor allem dadurch lernt, dass es selbst über seinen Körper bestimmt und dass dies erwünscht und gut geheißen wird. 

Immer wieder benenne ich meine eigenen Grenzen laut und deutlich, z.B. ich möchte jetzt gerade nicht gezwickt, geschlagen, gekuschelt, irgendwas werden. Im alltäglichen Miteinander ermutige ich die Kinder ihre Grenzen selbst deutlicher zu benennen bzw. die benannten Grenzen des Gegenübers einzuhalten.

Und dann natürlich Elternabende und Elterngespräche - in denen es nicht darum geht, Recht zu haben, sondern gemeinsam zu erkunden, was warum wie gehandhabt werden könnte oder eben auch nicht.

Kommunikation, Transparenz und  Vertrauen - verdammt wichtige Zutaten in dieser Zeit.

Sich satt reden dürfen

KleinMadame, meine Enkelin, ist jetzt zweieinhalb Jahre alt. Sie redet wie ein Wasserfall. Noch ist nicht alles sofort verständlich für mich, aber sie ist hartnäckig und wiederholt sich so lange, bis ich wiederhole, was ich verstanden habe und sie damit einverstanden ist. Wir führen in dieser Art oft schon sehr lange Gespräche. Wenn sie von draußen kommt, macht sie unten bei mir Halt und erzählt, was sie alles erlebt hat. Oft sitzen wir auch auf der Treppe, ihr Lieblingsort für ernsthafte Plaudereien, und hören uns gegenseitig zu. Ich, und auch ihre Mutter, sind in der glücklichen Lage, dass wir uns die Zeit dafür nehmen können. Wichtigste Regel dabei: Wir lassen sie ausreden. Meint, sie bestimmt, wann das Gespräch zu Ende ist. Und wenn sie sich dreihundertfünfzehn Male wiederholt, so bekommt jede Wiederholung die gleiche Aufmerksamkeit, als hätte sie es gerade zum ersten Mal gesagt. Ich nenne dies satt werden dürfen am eigenen Mittteilungsbedürfnis. Ihre Sprechsprache wird dadurch von Tag zu Tag ausgefeilter und nuancenreicher. 

Dabei ging mir letztens wieder durch den Kopf, dass genau dies, die Ruhe und Gelassenheit im Zuhören, das sich Zeit nehmen und die Geduld im Wiederholen des eigenen Gesagten, in genau diesem Alter, die Basis dafür ist, dass dieses Kind auch in hormonell schwierigen Situationen in zehn, zwölf Jahren darauf vertrauen wird, bei seinen Bezugspersonen immer ein aufmerksames Ohr zu finden und es keine Angst haben wird, sich zu öffnen und auch mal vermeintlich Durcheinander und Widersprüchliches kundzutun. Ich weiß jetzt schon, dass Mutter und Teenagerin später davon profitieren werden und sie die Pubertät mit weniger gegenseitigen Verletzungen durchlaufen können.

Warum erwähne ich das? Weil dies ein weiteres Puzzleteil  für meine Überzeugung ist, dass die grundlegenden und wichtigen Dinge in den ersten drei Lebensjahren passieren und dass man in dieser Zeit gar nicht genug Zeit und Aufmerksamkeit in das kommunizierende Miteinander stecken kann. Da gibt es kein Zuviel von Irgendwas. Meine langjährige  Erfahrung in der Begleitung von Menschen vom Kleinkind bis zum jungen Erwachsenen bestätigt mir dies immer wieder aufs Neue. Ich erinnere mich, dass ich dies schon meinen ersten Eltern damals, als ich auch noch sehr jung und eigentlich recht unerfahren war, mit viel Enthusiasmus versucht habe zu vermitteln. Ich bin dankbar für den Vertrauensvorschuss, den mir manche von ihnen gaben. Heute kann ich viel besser argumentieren, weil ich tausendundeine erlebte Geschichten als Beispiele anbringen kann. Aus einer damaligen Hypothese ist mittlerweile eine durch Erfahrung untermauerte These geworden.

Das ungewollte Kind

Die beste Basis für jedes Menschenkind: In Liebe gewollt, empfangen, willkommen, angenommen und begleitet.

Wir alle tragen mehr oder weniger kleine Verletzungen, Demütigungen, und Erniedrigungen aus der Kindheit mit uns rum.
Das ist an sich nichts Tragisches. Es gehört zum Aufwachsen dazu und hat meistens seinen Grund in den unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen von Kindern und Erwachsenen. In der Regel können wir die dazugehörigen Bilder und die daran gekoppelten Emotionen später auflösen und freundlich wohlwollend damit, mit uns und mit allen Beteiligten umgehen.

Es gibt jedoch ein Trauma, das so tief geht, dass es kaum bewusst ist, unser Denken und Handeln aber über Jahrzehnte bestimmt und die Flexibilität unserer Wahrnehmungsfilter blockiert.

Dieses Trauma nenne ich „Das Drama des ungewollten Kindes“.

Dieses Nichtgewollt- und NichterwünschtSein bestimmt sowohl das Verhalten der so fühlenden Erwachsenen gegenüber dem Kind, als auch dessen Wahrnehmung und Interpretationen von eben diesem Verhalten. Gleichzeitig verunsichert und verängstigt es das Kind zutiefst.

Es traut seinen eigenen Empfindungen nicht mehr. Sein Bauchgefühl wird, besonders dann, wenn seine Erwachsenen aus einem diffusen Schuldgefühl heraus die Fürsorge zum Teil ins Absurde steigern oder sich Fürsorge und Vernachlässigung undurchschaubar in einem Affentempo abwechseln, von ihm verleugnet. Es verliert den Zugang zu seiner Intuition und zu seiner ganz eigenen Gefühlswelt.

Die Auswirkungen sind umfassend und fatal. Schuldgefühle, niedriges Selbstvertrauen, Verlassens- und Versagungsängste, Bindungsstörungen, einbetonierte Glaubenssätze, unversöhnliche innere Richterinstanzen und die daraus sich ergebenden manifestierten Handlungsmuster (z.B. kontextunabhängig bemühtes Wohlverhalten, diffuse Traurigkeiten, Fluchtreflexe bei Nähe, u.v.m. ) bilden einen dichten Kokon, in dem Inneres Kind und späterer Erwachsener fast untrennbar miteinander verwoben sein werden.

Ich habe solche Kinder nun von klein auf aufwachsen gesehen und es macht mich tief traurig, wenn ich mich daran erinnere, dass alle Elterngespräche von damals nichts gebracht und viele meiner Befürchtungen sich bewahrheitet haben. Manchmal denke ich, es wäre für alle Beteiligten besser gewesen, man hätte sich sehr früh voneinander getrennt. Darf man das denken? Ja, darf man. 

Prävention

"Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die das Engagement der Menschen, die in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen tätig sind und Einfluss haben, verlangt."

Lohnt sich zu lesen. Immer mal wieder. Kurz, klar und knapp auf den Punkt gebracht. 
Sieben Präventionsthemen

1. Dein Körper gehört dir!
2. Vertraue deinem Gefühl! 
3. Unterscheide angenehme von unangenehmen Berührungen
4. Kinder haben das Recht Nein zu sagen
5. Unterscheide gute und schlechte Geheimnisse!
6. Kinder haben ein Recht auf Hilfe
7. Kinder haben niemals Schuld

*Anmerkung
Ja, ich finde 35 Seiten kurz und knapp

Vorbild

Anstatt deinem Kind ständig
beibringen zu wollen,
wer und was es sein
könnte, sollte, müsste,
zeig ihm lieber Tag für Tag,
wer du bist und wofür du stehst.

Kleine Kinder kommen mit dem tollsten Lernprogramm überhaupt auf die Welt: Sie ahmen nach. Sie eignen sich all ihre Fertigkeiten an, indem sie sie abgucken und abhören. Und dann wiederholen sie. Wieder und wieder, bis es sitzt. Begleitende Erwachsene verhalten sich besonders in den ersten Monaten quasi intuitiv perfekt entsprechend diesem Lernprogramm. Sie betonen Wörter, verlangsamen und übertreiben ihre Mimik, variieren Tonlagen, wiederholen, wiederholen, wiederholen gleiche Kommunikationsmuster, führen Rituale in den Tagesablauf ein. Sie schaffen dadurch ein Gerüst von überschaubaren Lerninhalten und, genauso wichtig, spinnen damit ein festes Netz von Sicherheiten und Zuverlässigkeiten.
Das funktioniert prima. Also, warum sollte man dann damit aufhören? Eben, gibt es keinen Grund dafür. Auch später lernen Kinder vor allem durch Vorbild. Sprache wird wichtiger, ja. Aber sie macht nur einen kleinen Teil aus. Unsere innere Haltung, unsere (auch körperlich) kommunizierten Gefühle, unser reales Tun bleiben das "Beeindruckende", quasi die Leuchttürme, nachdem das Kind sich immer wieder  ausrichtet.

Das ist wunderbar. Das ist eine verdammt mächtige Verantwortung. Wir sind aufgefordert uns ständig mit uns auseinanderzusetzen und innezuhalten und zu reflektieren, was haben wir da eben denn eigentlich wirklich wie kommuniziert. Anstrengend manchmal, aber auch ein Geschenk, dass die Kinder uns machen. Ganz bei sich zu sein, um ganz beim Kind zu sein. Schön, oder?

Hausaufgaben

Gedankensplitter zum Thema Hausaufgaben

„Erster Schultag in unserem Dorf und die Kleinen kommen nach Hause mit ihren ersten Hausaufgaben. Mir klappte die Kinnlade runter. Sind die deppert, die Lehrerinnen? Ja, sind sie.“

Ich erinnere mich nicht genau, wie viele Entschuldigungen ich meinen Kindern damals für nicht gemachte Hausaufgaben wohl geschrieben habe. Ich denke, man könnte Ordner damit füllen. Raus gehen, spielend die Welt entdecken, Abenteuer erleben, sich mit Freunden treffen, den Nachmittag verträumen, und vieles mehr, erschien mir immer wesentlicher für die Allgemeinbildung der Kleinen als dumpf backendes Wiederholen von Vorgekautem.

Interessante Erfahrung war jedoch, dass es Hausaufgaben gab, die die gerne machten. Zum Beispiel Geschichten schreiben, sich mit einem Thema (z.B. Mittelalter) näher zu beschäftigen.

Konsequenz war auf jeden Fall, dass ich sehr, sehr oft für Elterngespräche in die Schule musste.

Als sie älter waren hatten wir folgenden Deal: „Ausgehend von der Tatsache, dass ich Schule, so wie wir sie vorfinden für dämlich und ungeeignet halte und der weiteren Tatsache, dass ich mich aufgrund meiner Lebensumstände nicht imstande sehe, Schulverweigerung mit Selbstlernprogrammen durchzuziehen, bleibt uns nicht anderes übrig, als da durch zu gehen. Also werdet ihr euer Bestes geben in Bezug auf Klassenarbeiten und Noten. Ihr lernt den Scheiß, weil ihr es locker lernen könnt. Ich wiederrum schaffe euch genügend Luft zum Atmen und ziehe, wenn nötig in die Schule ein, damit ich nicht jeden Tag den weiten Weg zum Elterngespräch fahren muss. Ich halte euch den Rücken frei, wenn es um unsinnige Forderungen oder Grenzüberschreitungen (Hausaufgaben, freie Tage, anmaßendes Verhalten der Lehrkräfte euch gegenüber, etc.) geht. Das funktioniert aber nur, wenn die mir nicht jedes Mal mit dem Todschlagargument von Fünfern in der Leistungsbewertung kommen können.“

Das klappte prima. Man könnte es einen faulen Kompromiss und inkonsequent nennen. Ja, könnte man. Für uns war es ein guter Weg.


Folgende Gedanken zu Hausaufgaben von Tim Schlenzig finde ich gut. Der Tim ist ein kluger junger Mann, den ich sehr schätze.


Selbstwirksamkeit

Selbstwirksamkeit meint die innere Überzeugung, dass man fähig ist, etwas zu bewirken, eine Aufgabe lösen zu können, etwas in Gang zu setzen oder gar etwas (die Welt) verändern zu können. Studien zeigen immer wieder, dass Menschen, die an ihre eigene Kraft glauben, ausdauernder bei der Bewältigung von Aufgaben sind, und außerdem ein geringeres Risiko für Angststörungen entwickeln.

Ermutigung („Du kannst es bestimmt schaffen“), Modelllernen („Schau, wie ich das schaffe“) und vor allem eigene Erfahrungen („Ich schaffe das durch eigene Anstrengung“) haben den wichtigsten Einfluss auf die Ausbildung der Selbstwirksamkeit.

Kinder baden, wenn es ihnen ermöglicht wird, in dem Gefühl der Selbstwirksamkeit. Wow, ein Pippi Langstrumpfgefühl „Ich mach die Welt, wie sie mir gefällt!“ Das kann, für alle Beteiligten (ja, auch und gerade für das kleine Kind selbst), manchmal sehr anstrengend sein.

Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit erst einmal grundlegend gefestigt sein muss, damit danach die soziale Regulierung/Anpassung ohne Schaden erfolgen kann. Denn die erfahrene Selbstwirksamkeit stärkt das Selbstbewusstsein und den inneren Selbstwert und auf diesen beiden baut soziale Kompetenz erst auf. Dann werden nämlich aus dumpfem Gehorsam, der immer einen inneren Widerstand nährt (die Rechnung wird spätestens in der Pubertät präsentiert), ein wohlwollendes Akzeptieren und ein flexibel angemessenes Umsetzen von sozialen Regeln. Das Befolgen dieser Regeln erniedrigt dann den eigenen Selbstwert nicht mehr, sondern erhöht ihn eher.

Selbstwirksamkeit ist für kleine Kinder wie Magie. Wir sollten sie nur sanft und voller Zärtlichkeit entzaubern. Und ein nicht so kleiner Rest darf ruhig davon übrig bleiben. 
"Ob Kitaträger oder Ämter, viel zu viele schauen weg. Und im Bund boykottieren die zuständigen Ministerpräsidenten aller Parteien überfällige Mindeststandards, die Kleinkinder schützen würden."

Es ist so erbärmlich widerlich.

Ich habe im Laufe meines Lebens selbst in einigen Einrichtungen gearbeitet. Allerdings nur in sogenannten "Kinderläden". Leider gibt es nur noch Reste von dieser Bewegung und kaum noch Einrichtungen, die nach solchen Konzepten arbeiten. Schade. Meine Erfahrungen dort waren ausgesprochen positiv.


"Frau Müller, würden Sie heute ihr Kind einfach in eine ortsansässigen / ortsnahen Krippe oder einen Kindergarten geben?"

"Nein, würde ich nicht. Ich würde mich umschauen, für Qualität, Kompetenz und Konzept auch weite Wege in Kauf nehmen. Und wenn ich nichts entsprechendes fände, würde ich eine Elterninitiative gründen und gemeinsam etwas aufbauen."

"Viele Eltern können sich das doch gar nicht leisten. Sie stehen finanziell, beruflich oder durch Ämter unter Druck. Sie müssen doch nehmen, was angeboten wird. Sie haben keine Wahl!"

"Tut mir leid, diese Argumente lasse ich nicht gelten. Man hat immer eine Wahl. Und die frühen Jahre der Kinder sind derart wesentlich bestimmend für das ganze Leben, dass man da schon mal Unannehmlichkeiten, Unbequemes, Verzicht, Aufruhr, Umbrüche in der eigenen Lebensgestaltung in Kauf nehmen sollte. Das Wohl des Kindes steht da für mich an erster Stelle. Nicht diskutabel, so gar nicht. Da erwarte ich, dass die Erwachsenen für ihre kleinen Menschen kämpfen und sich für sie einsetzen. Mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Es einfach ergeben hinzunehmen, geht gar nicht in meiner Welt."

Lernziel: Über meinen Körper bestimme nur ich

KleinMadame lernt unter anderem, dass nur sie entscheidet, wer ihren Körper wie und wann berühren darf, oder eben auch nicht. Ein Nein von ihr ist hier ein Nein. Sonst nix. Kein Drama, kein Erziehungsfeld, kein Stressfaktor.
Gleichzeitig lernt sie auch, dass dies für alle anderen Menschen ganz genauso gilt. In jedem Fall wird es benannt (Ihr erinnert euch? Vorbildfunktion): "Nein, ich will jetzt nicht geschubst, abgeleckt, gezwickt, geknutscht,... werden. Das ist mein Körper und darüber bestimme ich."  oder "Ist es okay, wenn ich dir jetzt die Windel wechsle, dich eincreme, dich knuddel ..."

Berührung hat sehr viele unterschiedliche Formen: Streicheln, küssen, kuscheln, schubsen, hauen, zerren, tätscheln, ...  und viele, viele mehr. Was da alles dazu gehört und wie sich ein gutes Gefühl bei Berührung von einem schlechten unterscheidet, ist ein langjähriger Lernprozess und geht viel über Trial and Error. Aber er ist grundlegend wichtig und gehört auch als wesentlicher Bestandteil in die Präventionskiste.

Also kommt mir jetzt nicht mit "Das Kind muss doch lernen die Hand zu geben!" Nein, das muss es nicht! Zuerst einmal muss es lernen, dass es das nicht muss, weil es das selbst entscheidet. Und dann, wenn es viel älter sein wird, wird es lernen, dass es kulturell bedingte Begrüßungsrituale gibt, die man zwar beherrschen können könnte - aber eben auch nicht immer und überall und mit jedem ausüben muss. Man entscheidet das wann, wo, mit wem immer noch selbst für sich.

Das hat eben nix mit Anstand oder Form zu tun, sondern für kleine Kinder erst einmal nur mit einem: Ich entscheide, wer mich wie, wann, wo berühren darf.  Niemand sonst. Es ist mein Körper und über den bestimme ich, genauso wie du über deinen bestimmst.

Schuld

Irgendwie ist das schon irre eingerichtet: Wenn die zum kleinen Kind gehörenden Erwachsenen das selbige bestrafen, demütigen, verletzen... dann sucht das Kind automatisch die Schuld dafür bei sich. Es kann gar nicht anders, denn seine Erwachsenen liebt es und es vertraut ihnen. Bedingungslos. Denn diese Liebe und dieses Vertrauen nähren es in einem allumfassenden Sinne. Es kennt doch noch gar nichts anderes.

Wäre es schon in der Lage, die Ungerechtigkeit, die Gemeinheit, die Gewalt im Tun seiner Erwachsenen zu erkennen und zu analysieren, dann könnte es sie nicht mehr lieben und ihnen nicht mehr vertrauen... und würde innerlich, und manchmal vielleicht auch ganz real, sterben. Die Entwicklungsprozesse des Kindes verhindern aber genau das. Es muss also die ihm, durch das Verhalten der geliebten Erwachsene angetragene, Schuld übernehmen, weil es gar nicht anders können kann. Wenn es aber so schuldig ist, wie ihm das Verhalten der Erwachsenen signalisiert, wie kann es sich dann selbst noch lieben lernen?

Das lassen wir uns jetzt ganz langsam auf der Zunge zergehen.


Noch schrecklicher als die Tatsache, dass manche Eltern ihr Kind nicht bedingungslos lieben, achten, respektieren können, ist für mich dieses so frühe Schreddern der Liebe des Kindes zu sich selbst und zu ihnen durch diese, wenn auch oft unbedachte, Verteilung von Schuld.

Welch eine Macht haben die Erwachsenen über das Kind. Und wie sorglos, ja wie beiläufig, unreflektiert, selbstherrlich und verantwortungslos gehen manche damit um.

Und, bevor wieder gefragt wird, wie kann man denn damit umgehen: Alles was mit Schuld und schuldig sein zu tun hat, gehört schlichtweg nicht in den Umgang mit Kindern. Bestrafung in jedweder Form, Erniedrigung, Demütigung, Gewalt sind die Marker, auf denen sich immer Schuld andockt und verteilt und gehören deshalb nicht in den Kanon eines wie auch immer gearteten Konzeptes von „Erziehung“. So ganz und gar nicht.

„Time-out-Methode“

Die „Time-out-Methode“ gehört für mich zu den widerlichsten Erziehungsmethoden und trägt bei mir das Etikett „Schwarze Pädagogik“.

Sie scheint sich jedoch wie ein Virus in den letzten Jahren wieder ausgebreitet zu haben. (Warum geht mir dabei wohl die Sendung „Super Nanny“ durch den Kopf?) Im dörflichen Umfeld meiner kleinen Enkelin ist dies zurzeit eine der bevorzugten Methoden Kindern etwas beibringen zu wollen. Da werden Zwei- bis Dreijährige ins verdunkelte Kinderzimmer, auf die Kellertreppe oder an sonst einen gruseligen Ort verbannt, damit sie  … ja was eigentlich? … lernen sollen.

Unabhängig von dem auslösenden Konflikt lernen sie durch diese Maßnahmen jedes Mal jedoch vor allem: Ich bin schuld. Ich genüge nicht. Es liegt an mir.

In einem Moment, in dem das Kind dem eigenen Gefühlschaos hilflos ausgeliefert ist und es nach Wegen sucht, damit effektiv umzugehen (was der Hauptgrund für vermeintlich kindlichen Ungehorsam ist), in diesem Moment, in dem es Beistand, Begleitung, Verständnis, Vorbild, Trost und liebevolle Zuwendung bräuchte, wird es weggesperrt und seinen Ängsten und seinem Gefühlsdurcheinander alleine und hilflos ausgesetzt.

Nein, es denkt im dunklen Zimmer nicht über sein „Vergehen“ nach, sondern ist völlig überfordert damit beschäftigt das verstoßende Verhalten seiner Erwachsenen emotional so einzuordnen, dass es daran nicht zerbricht.

Dieses Einordnen kann es aber noch gar nicht können, dafür hat es nämlich viel zu wenig Erfahrungen, Vorstellungen und Interpretationsmuster zur Verfügung. So bleiben ihm nur die durch diese Erziehungsmaßnahme angebotenen Koordinaten Schuld und Scham als Ordnungshelfer für die Wiederherstellung einer fragilen inneren Balance.

Und was ist mit der Wut? Wut als gesunde Reaktion auf verletzendes und erniedrigendes Verhalten der Erwachsenen im gegenüber. Sie muss unterdrückt und verdrängt werden diese Wut, weil es seine Erwachsenen doch bedingungslos liebt, lieben will und muss. Denn diese Liebe ist es, die ihm das Überleben sichert, innen und außen. Diese Liebe bringt es mit auf die Welt, sie ist quasi die verlängerte Nabelschnur, die ihm das Überleben in den ersten Jahren sichert und der erste Grundpfeiler seines sich herausbildenden Ichs. So vermischt sich die Wut mit Schuldgefühlen und Scham, nistet sich ein und sucht sich später unpassende verquerte Wege des Ausdrucks.

Ein irrer Kreislauf beginnt, in dem es nur Verlierer gibt.    

*Anmerkung
Die, von dem von mir sehr geschätzten Herrn Juul und anderen, vorgeschlagene "Auszeit ohne Wegsperren" kommentiere ich hier nicht, da mein Konzept des Lebens mit Kindern grundlegend von Anfang an anders läuft und es deshalb solche Situationen, in denen man sich "Auszeiten" nehmen müsste, zumindest in jungen Jahren, einfach nicht gibt.

Ja, aber was raten Sie denn nun, Frau Müller?

Ich kann keine verallgemeinerbaren Empfehlungen geben. Das widerspricht mir so sehr, sowohl in der Pädagogik, als auch in Bezug auf die Therapie bei mir. Darum wird es auch nie irgendwelche "Ratgeber"bücher von mir geben.

Die Menschen sind jeweils so einzigartig, die Umstände und die Konstellationen in denen sie sich bewegen sind es ebenso. Und meine Blick darauf doch auch. Also kann ich nur auf konkrete Situationen meine Sicht teilen und ein wenig Handwerkzeug an die Hand geben. Nicht mehr und nicht weniger.

Auf der anderen Seite habe ich natürlich auch Grundsätze, die ich im Laufe meines Lebens oft überprüft habe, Manche habe ich weggeschmissen, manche habe ich verändert und manche habe ich behalten. Zu dem obigen Text hätte ich diese:

Kinder können nur Schuld annehmen. Sie können keine verteilen. Erwachsene können sowohl Schuld verteilen und Schuld annehmen. Aber! sie können auch damit aufhören. Das können Kinder nicht, einfach weil sie es noch nicht können können. Damit liegt, in meinem Verständnis, die Verantwortung für diesen ganzen Schuld und Sühne Mist schlichtweg und ausschließlich bei den Erwachsenen.

Zum Thema "Tischmanieren" -> Mach es einfach vor. Jeden Tag. Wieder und wieder. Und vertraue darauf, dass das Kind es in Situationen, in denen es wirklich drauf ankommt, einfach können wird. Ich würde da niemals einen Kampfplatz eröffnen drum.

Meine Erfahrung: Alle Kinder finden es toll mit Besteck zu essen. Doch sie bestimmen selbst, wenn man sie denn bitte lässt, wann sie anfangen es toll zu finden. Druck erzeugt hier nur Gegendruck und es ist halt viel geiler zu erleben, wie man die Erwachsenen von Null auf Hundert bringen kann, wenn man mit Sieben noch mal rumpatscht mit dem Essen. Welch ein Machtgefühl. Wäre es aber nicht, wenn der Erwachsene einfach gelassen wäre: Es ist dein Essen, iss es wie du meinst, dass es dir am besten schmeckt. Und man selbst isst halt weiter fein mit Messer und Gabel.

Nebenbei, in ganz vielen anderen Situationen, kann man dem Kind beibringen, dass es Situationen gibt, in dem man sich Regeln anpassen könnte. Nicht, weil „man“ es so macht, sondern weil es schlichtweg von Vorteil sein kann. Mama zieht sich besonders an, wenn sie auf Arbeit geht und Papa siezt den Herrn vom Finanzamt und zum Kindergeburtstag der Freundin geht man in den Klamotten, die man vorher ausführlich mit den Freundinnen ausdiskutiert hat. Bitte und Danke sagen die Eltern eh bei jeder Gelegenheit, nehme ich an.

Kinder lernen nicht durch predigen und auch nicht durch Bestrafung und Belohnung. Sie lernen durch Vorbilder. Ist eigentlich ganz einfach. ... Und immer, wenn ich selbst verunsichert war oder bin, dann nehme ich mir die Zeit und frage: Wenn ich mich so und so verhalte, was lernt das Kind da eigentlich? Ist ausgesprochen hilfreich, weil manchmal sehe ich die darunter liegende, wirklich tiefergehende eigentliche Lernbotschaft auch erst beim zweiten Blick. Das macht nix. Geht kein Kind dran kaputt, wenn die Grundhaltung eben ist, dass man es/sich immer wieder hinterfragt. Dann kann man auch mal locker ehrlich sagen: Das war jetzt einfach glatter Unfug von mir. Kommt gut an und ist ein feines Vorbild.

Spielplatzgespräche

An unserer Grundschule bekommen die Kinder Sternchen für braves Verhalten. Bei drei von diesen Dinger ist das ein Freilos für einmal keine Hausaufgaben machen müssen.

1. Mutter „Warum gibt es nur drei Sternchen? Die Woche hat doch 5 Tage?“

2. Mutter „Meine Tochter weint immer, wenn sie kein Sternchen bekommen hat.“

3. Mutter „Also das mit den Sternchen find ich ja gut. Aber das mit den Hausaufgaben nicht! Mein Sohn muss trotzdem alle Hausaufgaben machen, Sternchen hin oder her.“

4. Mutter „Das kennen die doch schon aus dem Kindergarten. Nur den Strafstuhl, den wollte die Schule bisher nicht übernehmen. Dabei war der so gut. Sternchen für die lieben Kinder und für die frechen Bälger der Stuhl. Wir sollten das mal auf dem nächsten Elternabend einbringen.“

Frau Müller bekommt innere Schnappatmung und macht sich schon mal auf die Suche nach einer Kindergarten/Schulalternative für ihr Enkelkind. 

Freiräume und Grenzen

"Wir sollten die Kinder nicht an die Hand nehmen und vorsichtig über jede Stolperstelle führen, sondern Räume mit altersgemäßen Stolperstellen schaffen - und ihnen vertrauen." (Felix Nattermann)

Ja. Und ein bissl Ahnung davon haben, was Kinder in welchem Alter können bzw. nicht können können. Beispiel: KleinMadame bewegt sich frei im Haus. Treppe rauf, Treppe runter. Mal oben bei sich, mal unten bei mir. Ein paarmal stand sie schon schnuppernd vor der geschlossenen Haustür. Nun hat sie sie auf gemacht und ist raus gegangen. Saß, wohl selbst erstaunt über das eigene Können, still und schauend auf der Bank vor dem Haus. Wir haben dann dort einfach eine Weile über dies und das geplaudert. So als sei alles gut und richtig. War es ja auch. Diese Tür alleine aufzumachen und durchzugehen ist ein wunderbarer Entwicklungsschritt! ...

Jetzt ist ein Riegel an der Tür, an den wir ran kommen, sie aber von der Größe her nicht. Warum? Weil direkt neben Garten und Hof die Durchgangsstraße ist. Abschließbar einzuzäunen ist da aus baulichen Gründen nichts. Mit zweieinhalb Jahren kann sie aber rein entwicklungsmäßig noch nicht Geschwindigkeit, Entfernung und Tödlichkeit von Autos einschätzen und ihr Nichtkönnen auch schon gar nicht.
Verbote und lange Erklärungen würden es in dieser Entwicklungsphase nur interessanter machen und ihr "kann ich selbst/alleine" herausfordern und bei uns allen zu reiner Energieverschwendung im Verbotserklärdschungel führen.

Also wird da nix diskutiert, nix besprochen, nix thematisiert, sondern einfach Fakten geschaffen. Riegel. Aus. Fertig. Da gibt es auch kein Heulen und Zedern von ihrer Seite. Sie nimmt es einfach hin, so wie sie andere Dinge hinnimmt, die einfach noch nicht gehen. Kinder sind soooooo klug. Und vielleicht vertraut sie uns einfach auch, weil sie weiß, dass es nur sinnige Regel in unserem Zusammenleben gibt und davon nur wenige, für sie (und uns) überschaubare. Und dass sie ansonsten in all ihren Bestrebungen Dinge kennen und alleine können zu lernen von uns unterstützt und ermutigt wird.

So viel Freiraum wie möglich, Regeln und Verbote nur so viele wie, ihrem Entwicklungsstand entsprechend, zu ihrer Sicherheit notwendig. Alles andere hat Gründe in den Erwachsenen und nicht im Kind.

Ich will!

Tipps zu geben, wie man Kinder dazu bringt, das zu machen, was man als Erwachsener will = Erziehungsratgeber.

Sinnvoller wäre es, Kinder liebevoll zu begleiten und zu unterstützen, so dass sie im Aufwachsen lernen, was sie selbst wollen.

Das kleinkindliche „Ich will!“ ist so mächtig. Eine der wunderbarsten Entwicklungsschritte überhaupt. Eine Steilvorlage der menschlichen Evolution. Da geht es um Selbsterkenntnis, Selbstwert, Reflexion, Abgrenzung und Eigenverantwortung. Das kann man lernen. Vor allem indem es einem vorgelebt wird. Ein wahnsinnig kreativer Prozess, der über viele Jahre andauert.    

„Ich“. Wer ist dieses Ich? Was weiß ich über mich? Was macht mich aus? Was macht mich einzigartig und besonders? Ich habe mich lieb, genauso wie ich bin. Hast du mich auch so lieb?

„Wollen“. Was will ich wirklich? Ist es genau das, was ich will? Oder steckt da noch mehr dahinter? Wer will da eigentlich was? Muss ich wollen, was ich darf? Darf ich auch nicht wollen, was ich soll? Meine Bedürfnisse, Träume, Wünsche, Begehrlichkeiten.

„Verantwortung“. Wenn ich bekomme, was ich will, was hat dies für Konsequenzen/Folgen für mich, meine Mitmenschen, meine Umwelt. Bin ich bereit, dafür die Verantwortung zu übernehmen?

Kinder bringen alles mit, damit sie dies lernen können. Sogar das Wollen, genau dies lernen zu wollen. Boah, was für ein Potential, was für eine Chance für uns alle. 

Entschleunigung

Eltern sind weder Ersatz-Lehrer noch Ersatz-Kinder.

Kinder lernen von ihren Eltern durch Vorbild. Sie lernen unter anderem von ihnen, was es heißt den eigenen Alltag als ein Erwachsener zu strukturieren. Deshalb kann man sich als Eltern ruhig erlauben auch mal ein schönes Buch auf der Terrasse zu genießen, die Zeitung zu lesen, oder sonst einer entschleunigten Beschäftigung nachzugehen. Man muss nicht immer mit einem wertvollen Kinderbuch hinterm Kind herjagen oder sich pädagogisch wertvolle Spiele ausdenken. Wenn das Kind dann über Langeweile klagt, weil sein PersonalVergnügungsCoach mal was ganz eigenes für sich tut, dann hilft ein liebevolles: „Nun, dann bin ich aber sehr gespannt, wie du das mit der Langeweile für dich löst!“

Langeweile haben dürfen ist in meiner Welt ein Menschenrecht. Das ist der Boden, auf dem Eigenständiges sich entwickeln kann.

Verträumt vor sich hin liegen, in die Luft gucken oder einfach nur auf den eigenen Herzschlag hören – wunderbare Dinge, die aus Langeweile entstehen können. 

Jetzt

Viele Eltern quälen ihre Kinder heute aus einer Perspektive heraus, die das Morgen meint. Aber dieses "Morgen" kann von Kindern nicht verstanden werden, denn sie leben im Jetzt. Und so wird das schmerzende Jetzt des Kindes das zukünftige Morgen bestimmen und nicht das absichtsvolle (oft wohlmeinende, keine Frage) intendierte Morgen der Eltern.

Wir können!

Können wir Kinder vor Gewalt in jedweder Form und deren Folgen schützen?

Immer? Nein. Immer öfters? Natürlich. Könnten wir. Wir könnten eine Menge tun:

Wir könnten uns bedingungslos an ihre Seite stellen. Wir könnten jedwede Form von Gewalt sofort laut und deutlich an- und aussprechen.

Wir könnten ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem Gewalt, Erniedrigung, Liebes- und Fürsorgeentzug, Erpressung, Ausbeutung und Einschüchterung keine anerkannten oder stillschweigend hingenommenen Formen des Umganges mit Kindern mehr sind.

Wir könnten das Wohl des Kindes über die elterliche Verfügungsgewalt und den Schutz der Familie stellen.

Wir könnten unsere Gesetzgebung schärfen und Verjährungsfristen in Fällen jeglicher Gewalt gegen Kinder in die Mülltonne kloppen.

Und wir könnten als pädagogischen Grundkonsens vereinbaren und leben: Macht Kinder stark und selbstbewusst, lehrt sie "nein!" zu sagen, selbstständige Entscheidungen treffen zu können, eigene Meinungen zu haben, widerständig zu sein und sich mit Autoritäten kritisch auseinanderzusetzen.

Wir könnten ihnen Raum für die Entwicklung ihrer! Persönlichkeiten geben und sie nicht zu Abziehbildern unserer unterdrückten Erwachsenenträume erziehen.

Wir könnten den Kindern von klein auf ihre Rechte beibringen und diese, für sie und mit ihnen, ohne Wenn und Aber in jeder Situation vehement verteidigen.


Wir könnten aus dem "Könnten" ein Können machen. Können wir!

Wegweiser

Was mir immer ein hilfreicher Wegweiser in all dem Erziehungsgedöns war? Letztendlich war es immer die Frage: "Würde ich jemandem erlauben so mit mir zu reden oder so mit mir umzugehen?" Meistens war der schwankende Boden unter meinen pädagogischen Füssen dann immer wieder glatt und ruhig und ich wußte ganz sicher, was in dieser konkreten Situation von meiner Seite aus angemessen, oder eben nicht, war.

Übrigens: Sich auch bei kleinsten Kindern für ein anmaßendes Verhalten ihnen gegenüber zu entschuldigen und eine kurze verständliche Erklärung dazu abzugeben, ist und kommt ausgesprochen gut und untergräbt in keinster Weise die Vorbildqualitäten. Ganz im Gegenteil.

Warten

Weil manche ja immer wieder davon berichten, dass kleine Kinder so ungeduldig seien: KleinMadame (2J) ist eine Meisterin des geduldigen und quasi meditativen Ausharrens. Sie schlägt uns alle darin in Längen: "Komm wir gehen jetzt mal einkaufen." ... "Nein, ich will nicht." Und dann steht sie. Ganz ruhig, ganz in sich gekehrt ... und steht, und steht, und steht ... Du kannst machen, was du willst, argumentieren, im Kreis tanzen, rum hüpfen ... sie steht. Dann, irgendwann, wenn du schon deine Tagesplanung im Geiste neu organisiert hast, kommt ein Strahlen: "Einkaufen gehen, ja, ja, ja."

Manche sage jetzt, das würde dem Kinde nicht gut tun. Dieses Warten, bis es endlich soweit ist. Nun, in diesem Fall tut es allen gut. Denn sich durchzusetzen würde viel mehr Energie auf allen Seiten kosten. Und dann gibt es oft im Laufe eines Tages genug andere Dinge, die nicht diskutierbar sind. Meistens kommt da auch kein Widerstand von Kleinmadame. Warum wohl? Nun, sie bemerkt es wohl am Ton, den Vorbereitungsgesprächen und am Drumherum, dass es jetzt um Terminiertes geht und - aufgepasst! - sie weiß einfach, dass es dafür Situationen gibt, in denen auf sie Rücksicht, siehe oben, genommen wird. Irgendwie ist so immer alles in Balance und ich bin der festen Überzeugung, dass Kinder für diese Ausgeglichenheit ein sehr feines intuitives Gespür haben.

Verquert

„Ich kann es nicht beweisen, aber ich glaube, die Menschen werden allgemein lieber getreten als ignoriert.“ Dietmar Dath

Aus meiner Arbeit mit Kindern: Viele lernen schon ganz früh, dass negative Aufmerksamkeit  immer noch besser ist, als gar keine. Ein Schlag ist besser, als gar keine Berührung. Und handeln danach, bis es ein festgefahrenes Muster in ihnen ist. Dann werden sie abgestempelt als: Sozial auffällig, hibbelig, frech, anmaßend, ungehorsam, etc. ... Aber dafür gibt es ja dann eine Pille

Stillen im öffentlichen Raum

Ich würde aus „Ich-stille-mein-Baby-im-öffentlichen-Raum“ keine Ideologie machen. Ich würde es mir aber auch nicht verbieten lassen, weil ein Verbot irgendwie beinhaltet, ich würde unangemessen und unflexibel damit umgehen. Meine Erfahrung von Angemessenheit: Manchmal wäre Warten lassen einfach unangemessen. Manchmal brauchen wir einen stillen, äußerst geschützten Ort. Manchmal macht Trubel guten Hunger. Manchmal kann ich nicht alleine sein, weil ich sonst zu unruhig bin. Manchmal, manchmal …  Wegweiser ist eigentlich für Angemessenheit immer „Wie geht es meinem Kind und was braucht es gerade, damit es ihm jetzt gut geht?“ Diese Flexibilität und Verantwortung würde ich mir durch ein Verbot nicht nehmen lassen. Ich kann selbst denken.

„Man schlägt nicht!“

„Nun, es gibt Situationen im Leben, da wäre es schon recht sinnvoll, zum Schutz für Leib und Seele, schnell und kompetent zuschlagen zu können.“

„Mit Gewalt lässt sich kein Konflikt befriedigend lösen.“


Die menschliche Handlungspalette ist riesig und umfasst unzählige Optionen. Dazu gehören auch recht aggressive Handlungsweisen. Nichts davon ist an sich erstmal besser oder schlechter, weil es immer auf den jeweiligen Kontext ankommt.

Lernziel beim Kinde wäre die Erkenntnis: In jeder Situation habe ich die Wahl zwischen mehrere Handlungsmöglichkeiten.

Um damit flexibel und verantwortlich umgehen zu können, muss man diese Handlungsoptionen und ihre jeweiligen Konsequenzen ausprobieren dürfen. Muss den Vor- und Nachteilen nachspüren können. Muss erleben, wie sich das jeweilige Ergebnis anfühlt. Da helfen keine bloßen Erklärungen, das muss man erfahren dürfen.

Wo wäre dies besser möglich als in dem durch achtsame Erwachsene geschützten Rahmen des kindlichen Miteinanders?

Beispiel: Streiten sich zwei Kleine um einen Bagger. Kreischen, zerren, hauen sich drum. Der Bagger liegt währenddessen unbenutzt nebendran. Hinzugehen und zu sagen: „Hört auf euch zu streiten, zu hauen! Das macht man nicht! Das gibt es hier bei uns nicht!“ ist eine nette Herangehensweise. Irgendwann hört aber keiner mehr zu, da es irgendwie nicht so richtig zu einem Ergebnis führt. Zumal dieser von außen und von oben nach unten durchgeführte Eingriff auch schon wieder eine leichte gewalttätige Tendenz hat und kein gutes Beispiel dafür ist, wie man mit Konflikten umgehen könnte.

Sinnvoller wäre es doch, die Situation ganz ruhig und beiden zugewandt zu benennen: „Ihr wollt beide mit dem Bagger spielen. Jetzt streitet ihr euch. Keiner spielt jetzt mit dem Bagger.“

Durch die Frage: „Wie könntet ihr das denn lösen, so dass ihr beide was davon habt?“ kann man dann den Weg frei geben für den Gedanken, dass es überhaupt auch noch andere Lösungen geben könnte. Die wird man vielleicht nicht gleich finden, wird manches ausprobieren, was sich auch nicht richtig gut anfühlt, aber, indem man immer wieder in diesem Muster daran arbeitet, bekommt man Übung und ein Gespür dafür, was wann wie passen könnte. Kinder sind da unheimlich kreativ und lösungsorientiert.  

Provokation

Ihr hüllt eure Kinder in Wattebäuschen, entschärft Märchen bis zur Unkenntlichkeit, schleift den Vampiren die Zähne und erklärt Eisbären zu Kuscheltieren, die dann auch noch süße, kleine Pinguine zu Spielkameraden haben (das geht nicht!). Kinder sollen dies und das und jenes nicht mitbekommen, schon gar nicht die Realität, denn es könnte ihnen ja schaden oder sie gar traumatisieren. Ihr müllt sie ein mit euren Scheinheiligkeiten und monologisiert sie hundert Mal am Tag zu mit all dem „Das darfst du nicht! Das macht man nicht! Hauen darf man nicht! Streiten darf man nicht! Und dies und das und jenes sind verboten! Wir haben uns alle lieb und die Welt ist ein kuscheliges Himmelbett.“

Kinder sind nicht doof. Sie sind nicht blind und taub. Sie bekommen sehr wohl und sehr früh mit, dass die Welt halt so gerade nicht ist, gar nicht so sein kann. Denn da gibt es ein Machtgefälle zwischen ihnen und den Erwachsenen, und zwischen dem Erwachsenen hier und dem dort auch, das sie zwar täglich spüren, aber nicht zu benennen und einzuordnen lernen. Die Welt kann sehr wohl hart, ungerecht, wahnsinnig, kalt, erschütternd und tödlich sein. Auch in der Familie oder im familiären/sozialen Umfeld. Doch sie lernen, dass sie darüber nicht reden dürfen. Und schon gar nicht dürfen sie wütend, stinkig, traurig, zornig, streitend, neugierig, verwirrt, verzweifelt sein. Denn diese Gefühle sind ein großes Bäh, obwohl sie sie doch immer wieder bei den Erwachsenen selbst wahrnehmen. Und irgendwann geht es dann nicht mehr ums „Dürfen“, sondern ums „Können“. Doch sie können gar nicht, weil sie nie durften.

Sie (er)leben von klein auf den totalen Widerspruch. Denn eure Verbote und Belehrungen sind sehr wohl oft aggressiv und erniedrigend und ihr setzt sie durch mit eurer Eltern- und Erwachsenengewalt. Warum glaubt ihr wohl finden junge Jugendliche Ballerspiele und Hardcorefilme so attraktiv? Warum sind Gewalt und Tod so faszinierend? Warum schlagen und hassen sie noch als Erwachsene so völlig ins Blaue hinein? Unter anderem auch deswegen, weil sie einen Teil von dem zeigen, sehen, stellvertretend erleben, in völlig verquaster Art und Weise ausleben wollen, was sie als kleine Kinder nie zeigen und spielerisch in einem geschützten Rahmen ausleben, ausprobieren durften. Sie hatten nie die Chance zu lernen, ihre Gefühle selbst zu regulieren, denn sie durften diese ja gar nicht haben. Sie haben nicht gelernt, dass es zum Beispiel zwischen dem um sich Schlagen und dem stillschweigenden Hinnehmen noch so viele unterschiedliche Facetten des Möglichen gibt, denn sie durften es ja nicht probend üben. Sie haben nicht gelernt, dass man sich gemeinsam gegen Unrecht und Gewalt zur Wehr setzen kann, denn im blaurosa Himmelbettchen ihrer überbehüteten Kindheit brauchte es ja keine Solidarität.

Das ist dir zu platt? Ja. Suchen wir doch gemeinsam nach Beispielen aus dem echten Leben.

Du fühlst dich durch das „Ihr“ überhaupt nicht angesprochen. Fein! Dann machst du es ganz anders. Erzähl es uns und lass uns an deinen Erfahrungen teilhaben.
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*Aus einem Gespräch darüber
Es geht ja nicht um Konfrontation oder aufgezwungener Informationsvermittlung am aktuellen Interesse des Kindes vorbei. Eigentlich geht es um eine grundsätzliche Haltung im gemeinsamen Leben: Gefühle darf man haben. Jedes Gefühl. Dazu gehören auch Traurigkeit, Unsicherheit, Zorn, Verzweiflung, Angst. Es wäre hilfreich, wenn man, auch in Anwesenheit von Kindern, diese Gefühle, wenn man sie denn hat, konkret zu benennen. Das ermutigt das Kind und zeigt, dass diese Gefühle keine verbotenen sind. So ein ganz banales Beispiel: Es gibt so Kinderfilme, da heul ich einfach los, weil sie etwas in mir antriggern. Also heulte ich und erklärte, warum ich es so gemein fand, dass Bambis Mutter erschossen, das Biest so verachtet und die Zwillinge getrennt wurden. Oder ich benannte meine Verzweiflung, wenn ich wieder mal aufgrund von mangelndem Geld einen Wunsch von ihnen nicht erfüllen konnte. Ich entschuldigte mich, wenn ich sie anschimpfte und eigentlich sie gar nicht meinte, sondern den ungerechten Chef auf Arbeit und erklärte meine Gefühle dabei. Und als sie älter waren, dann konnte ich ihnen auch meine Wut zeigen, wenn wieder einmal jemand jemanden "Penner" nannte oder jemand jemanden noch einen Tritt gab, wenn dieser jemand schon am Boden lag oder mir verbieten, dass man auf mich schießt. Ich konnte diese Gefühl zeigen, benennen und erklären, dass ich damit konkrete Bilder verband, die ich aus diesem und jenem Grund nicht gut fand.... .... ... und, und, und .... es gibt so viele kleine Möglichkeiten im Laufe des Tages Kindern gegenüber Gefühlen einen Namen zu geben und vorzuleben, dass man diese sehr wohl haben darf. 

Erziehungsgedöns

„Frau Müller, Sie haben ja zwei Kinder groß gezogen, haben jetzt ein Enkelkind im Haus und öfters in Ihrem Leben mit Kleinkindern gearbeitet. Was waren und sind Ihre pädagogischen Grundsätze?“

„Kinder sind kleine Menschen, denen es an Erfahrungen fehlt. Beim Machen dieser Erfahrungen begleite ich, viele werden durch mich ermöglicht. Ich zeige ihnen, wie ich es mache und schau mir an, wie sie es machen. Davon lernen beide Seiten. Ein wechselseitiger Prozess. Liebe, Respekt, Achtsamkeit sind die Zutaten von meiner Seite. Trotzdem gibt es ein Machtgefälle, das zu leugnen, wäre eine Lüge: Ich bin erwachsen, sie sind Kinder. Das verwische ich nicht, sondern benenne es in den jeweiligen Situationen konkret. Meint, es gibt Situationen, in denen bestimme ich. Ohne Wenn und Aber. Dafür gibt es Regeln. Die werden erklärt und gemeinsam immer wieder überprüft. Es sind nicht viele und sie verändern sich im Laufe der Entwicklung des Kindes. Beispiel: Überqueren der Straße an der Hand, in meinem Beisein, alleine. Das Belohnung-Strafe-System als Erziehungsmittel lehne ich ab. Ich freue mich mit dem Kind, wenn es etwas geschafft hat; ich ermutige es, es wieder zu versuchen, wenn es noch nicht klappt; ich erkläre Konsequenzen für Regelbruch (wie gesagt, es gibt eine überschaubare Anzahl von Regeln) und halte diese konsequent ein. Wenn ich Fehler mache, dann rede ich drüber und entschuldige mich. Und, und … ach, wir wollen hier doch kein Buch schreiben. Das Wichtigste ist: Kinder lernen durch Vorbild. Also liegt es an mir und an meiner Arbeit an und mit mir, was da gelehrt und gelernt wird.“

„Ein Beispiel vielleicht noch über eine Regel, die nicht zu den pragmatischen gehört wie das ÜberdieStraßegehen?“

„Na ja, wichtig war mir bei meinen Kindern: Wir lügen uns nicht an. Nicht weil Lügen an sich schlecht sei, sondern, weil es Vertrauen bricht und die Intelligenz des Gegenübers beleidigt. Zu lernen gilt: Es gibt nichts, aber auch gar nichts, über das man nicht reden könnte. Hartes Brot, auch für die Erwachsenen. Wir lügen und schummeln im Laufe des Alltags mehr, als ich je vermutet hätte. Und da wir Vorbilder sind, heißt das immer wieder reflektieren, dazu stehen, laut benennen, lernen es anders zu machen.“

„So wie Sie das formulieren, erscheint Erziehung als harte Arbeit, Frau Müller.“

„Nennen wir es nicht Erziehung, sondern das zusammen Leben mit heranwachsenden Menschen. „Erziehung“ hat für mich immer den Geschmack von oben nach unten. Das widerspricht aber meinen Erfahrungen. Es ist ein beidseitiges Geben und Nehmen und gemeinsames Lernen und Wachsen. Und ja, es ist arbeitsintensiv. Auf der Erwachsenenseite vor allem Arbeit an sich selbst. Läuft irgendwas schief mit und bei dem Kind, dann muss ich zuerst bei mir gucken. Das Kind spiegelt mich und meine Art des Umgangs mit mir und ihm. Bleibe ich in kritischen Situationen bei mir, erledigen sich die meisten starren Erziehungskonzepte ganz von selbst. Eine sehr bereichernde Arbeit, ja. Ach, und vielleicht noch das: Perfektion gibt es nicht. Alles ist im Fluss, Fehler sind Lehrmeister und liebevoller Umgang mit sich selbst und anderen ist das Schmieröl für lebendige und freudvolle Beziehungen, auch mit den Kindern. Das lehren sie uns nämlich und sind voller Verständnis für den Mist, den wir da ab und an bauen.“

Du lehrst mich jeden Tag aufs Neue:
Perfektion gibt es nicht
Alles ist im Fluss
Meine Fehler sind unsere Lehrmeister
Der liebevolle Umgang mit sich selbst
und anderen ist das Schmieröl
für lebendige, bereichernde Beziehungen
Auch und gerade mit euch Kindern
Danke!


Regeln für die Regeln


So wenige wie möglich, so viele wie notwendig

Alle! Beteiligte müssen den Sinn einer Regel verstehen und nachvollziehen können.

Am besten stellt man die Regeln gemeinsam auf.

Die Regeln gelten für alle Beteiligten, es sei denn, die Ausnahmen wurden benannt, verstanden und akzeptiert.

Regeln leben auch durch Vorbild.

Die Konsequenzen für Regelbrüche sind offen, klar und gemeinsam beschlossen.

Regeln unterliegen keiner Willkür. Sie gelten nicht heute so und morgen so. Solange sie vereinbart sind, gelten sie.

Jeder hat jedoch jederzeit das Recht, eine Regel in Frage zu stellen. Dann wird gemeinsam ein neuer Konsens/eine neue Regel hergestellt.

Ein Regelbruch ist keine Infragestellung der Regel. Das sind zwei ganz unterschiedliche Ebenen.

Regeln sind kein Selbstzweck. Trotzdem geben sie, wie Rituale, Sicherheit, Struktur und schaffen Gemeinschaft. Wenn sie denn gemeinsam verstanden, erstellt und akzeptiert wurden.

Offene und ehrliche Kommunikation ist die Basis jedweder Regelei.

Regeln sind kein Machtinstrument. Werden sie als solches missbraucht, dann sind es keine Regeln mehr, sondern einseitig erlassene Vorschriften.

Regeln kann man brechen. Die Konsequenzen nimmt man eigenverantwortlich gelassen in Kauf.

Ich weiß schon, warum ich eine Anhängerin der SoWenigWieMöglich Fraktion war und bin. 

Irrtum

„Können Sie mir etwas über das pädagogische Konzept Ihrer Einrichtung erzählen?“

„Bei uns werden schon die Kleinsten kindgerecht an bildungsrelevantes Wissen und entsprechende Themen herangeführt. Aufgrund unserer geförderten Personalgestaltung bieten wir zwei bzw. drei sprachige Gruppen mit Muttersprachlern an. Wir fördern, nach den allerneusten Erkenntnissen angeleitet, das kindliche Potential und legen Wert auf strukturierte Angebote und einen ebensolchen Tagesablauf. Zusätzlich können in den Nachmittagsstunden bestimmte Lernfelder (z.B. musikalische Früherziehung, angeleitete Tanzgruppe, Vorschulerziehung, gewaltfreie Kommunikation, Kinderyoga) zur Vertiefung hinzu gebucht werden. Ab dem 5. Lebensjahr gehen die Kinder in die Vorbereitungsgruppen für die Schule. Wir arbeiten sehr eng mit den umliegenden Grundschulen zusammen, so dass der Übergang von Kindergarten in Schule leichter fällt.“

„Ach nein, das ist uns zu billig. Sie bieten ja anscheinend nur marktkonforme Förderung, Bildung, Erziehung an. Das wollen wir nicht für unser Kind. Wir hätten schon ganz gerne eine hochqualifizierte Einrichtung, in der das Kind einfach Kind sein darf. Aus dem Kind soll ja schließlich mal was werden.“ 

Traumerfüller

Manche Erwachsene verstehen da etwas miss, darum kann es gar nicht oft genug wiederholt werden: Für die Erfüllung deiner Träume bist nur du zuständig. Weder der Partner, noch die Partnerin und schon gar nicht dein Kind oder deine Kinder. Immer wieder erlebe ich es, dass Kinder die unerfüllten Träume ihrer Erwachsenen erlösen sollen. Diese Aufgabe ist unerfüllbar und macht alle Beteiligten krank: Das Kind, weil es damit völlig überfordert und den Erwachsenen, weil der Geschmack der angestrebten Traumerfüllung ein bitterer ist. Lasst es einfach sein, es bringt nichts außer Leid und Enttäuschungen auf allen Seiten. Habt euch bedingungslos  lieb, das ist schon Aufgabe genug.

Knusperhäuschen

„Ja, die Hexe hätte heute keine Chance mehr mit ihrem verlockenden Knusperhäuschen.“

„Wie kommen Sie denn jetzt auf so was, Frau Müller?“

„Mir ging gerade durch den Kopf, dass die Kinder heute viel zu gut geschult sind in all den Feinheiten der Lebensmittelzusätze und wie gefährlich die sind. Wegen Allergien und Unverträglichkeiten und so. Süßigkeiten sind das große Bäh.“

„Aber, Frau Müller, Kinder sind Kinder! Und Kinder lieben Süßbatsch. Die könnten nicht widerstehen.“

„Doch, würden sie. Sie sind derart eingeschnürt in elterliche Überwachung und Behütung. Die würden sich nicht trauen. Die kämen ja nicht mal bis in den Wald.“

„Arme Kinder. Dann könnten sie die Hexe ja gar nicht in den Ofen stoßen.“

„Eben. Darum geht es doch.“ 

Emotionaler Missbrauch

Deine
Vergangenheit
kann niemand ändern.

Aber wir können gemeinsam
die alten Muster aufspüren,
dem Schmerz, der Traurigkeit
und dem Zorn des Kindes
einen sicheren Raum und
eine Stimme geben.
Lass uns eine neue, erwachsene
Melodie für Dein Leben schreiben.

Emotionaler Missbrauch durch die Eltern gräbt sich tief in die eigene Seele ein und lässt sich nur schwer entwirren. Manche Menschen tragen diese Bürde ihr ganzes Leben lang mit sich herum, wiederholen die selbstverletzenden Muster in eigenen Partnerschaften und geben diese in vielen Fällen an ihre eigenen Kinder weiter.

Emotionaler Missbrauch hat oft ein scheinbar fürsorgliches, liebevolles Gesicht. Versteckt sich hinter einem „Ich tue doch alles für dich.“ und „Ich will doch nur dein Bestes!“. Und doch steckt dahinter immer auch die unausgesprochene Botschaft: „Sei dankbar!“, „Sei brav!“ und „Sei so, wie ich es will und brauche!“. Ansonsten droht Liebesentzug oder gar Bestrafung.

Kinder verwickeln sich, weil sie es nicht anders können und gelernt haben, oft in Schuld und Scham. Sie reagieren mit vorauseilendem Gehorsam, doch in ihnen gärt ein nebliges Wissen um die ihnen zugefügten Ungerechtigkeiten. Es zerreißt sie innerlich und schreddert jeden kleinsten Funken von Selbstgewissheit. Die eigenen Bauchgefühle werden zum inneren Feind.

Bindungsunfähigkeit, Nähe – Distanz Problematiken, Angstzustände, Beziehungsunfähigkeiten Abhängigkeitsverhältnisse, mangelndes Selbstbewusstsein, selbstverletzendes Verhalten sind nur einige der möglichen Folgen.

Die natürliche Reaktion auf emotionalen Missbrauch wäre der Zorn. Doch der ist verboten: Durch die Eltern, das soziale Umfeld und später durch sich selbst. Es bleiben die Angst, die Scham und das Schuldgefühl und weben ein festes Netz um jedes mögliche „Nein“, um jeden Gedanken an Unabhängigkeit, um jeden Schritt in das eigene, selbstbestimmte Leben.

Wir können die Vergangenheit nicht ändern. Aber wir können gemeinsam die alten Muster aufspüren und als Erwachsene dem Schmerz, der Traurigkeit und dem Zorn des Kindes einen sicheren Raum und eine Stimme geben und neue, erwachsene, Verhaltensmuster erarbeiten.

Das ist kein Spaziergang. Jeder Schritt kann wehtun. Es braucht seine Zeit. Hilfreich ist eine kompetente Begleitung auf diesem Weg.

Das ist mein Job. 

Kinderschutz

Das ist etwas, was ich noch nie verstanden habe und was mir schon vor vierzig Jahren beim Kinderschutzbund bitter aufgestoßen ist und mich seitdem immer wieder und wieder hilflos erstarren lässt: Warum zählt der sofortige Schutz des Kindes weniger als die mögliche Unschuldsvermutung in Bezug auf die Eltern? Ich kapiere es nicht, ich kapiere es einfach nicht. Wenn ein kleines Kind mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus kommt, dann hat es! und nicht die Eltern, ein Recht auf jetzigen Schutz. Sofort. Punkt. Was ist daran so schwer umzusetzen? Man könnte sich eventuell geirrt haben und das Kind ist wirklich die Treppe runter gefallen? Jesses, ja und? Dann wird das in Ruhe geklärt und in dieser Zeit kann das Kind vielleicht ein wenig gesunden. Es könnte aber auch anders sein. Und dann? Jedes gequälte und totgeschlagene Kind ist eines zu viel. Das Recht des Kindes auf umfassende und jederzeit zu sichernde körperliche und seelische Unversehrtheit wiegt meiner Meinung viel schwerer als die Befindlichkeitsstörungen von Eltern und Jugendamtsmitarbeitern. ... Und für die ganz Schlauen: Die jeweilige ethnische Zugehörigkeit von Eltern und Kind spielt überhaupt keine Rolle.

Ja, es wird ein riesen Bohei gemacht und alles ertrinkt in Vorschriften, Ausführungsbestimmungen, Amtshierarchien, Zuständigkeitsgerangel, Ängstlichkeiten, mangelnder Zivilcourage, Fünfausfertigungsformularen, Anträgen, Absprachen, Teamsitzungen, Blablablubbs - und zwischendrin verrecken die Kinder.

Baby schreit

Babys schreien lassen. Aus welchen verquerten Gründen auch immer, scheint dies immer noch oder schon wieder durch die Köpfe so mancher Menschen, und auch Pädagogen, als ein probates „Erziehungsmittel“ zu spuken. Mir wird schlecht.   

Da kleine Menschen noch kein Zeitgefühl haben, ist eine Sekunde schreien für sie identisch mit einer Ewigkeit. Allein dieser Gedanke schmerzt mich. Wie entsetzlich muss es sein in einem unendlichen Zeitkontinuum sich einsam und verlassen und nicht gehört zu fühlen. Manchmal denke ich, dass keine Minute der späteren Zuwendungen diesen Schmerz je gänzlich wird heilen können. Es prägt, ganz, ganz tief innen. Folgen: Gefühlte Einsamkeit, Bindungsängste, tiefe Zweifel an der eigenen Selbstwirksamkeit. Kann man das "heilen"? Nein, wenn ich ehrlich bin, dann denke ich, dass diese Wunde niemals verheilen wird. Man kann sie nur pflegen, so dass sie nicht permanent nässt und man kann vielleicht verhindern, dass sie immer wieder zu sehr aufreißt, indem man sich ihrer bewusst wird und sie als Teil von einem selbst liebevoll annimmt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger ist möglich.

Krippenspiel

“Aber es führt kein Weg um die Einsicht herum, dass die Mehrheit ganztagsbetreuter Krippenkinder, selbst wenn sie in schönen Räumen mit anregendem Spielzeug von engagierten Erzieher/-innen betreut wird, den Tag in ängstlicher Anspannung verbringen, dass sich dies bei einem Teil der Kinder in anhaltenden Verhaltensauffälligkeiten niederschlägt und dass mit dieser Form der Betreuung Risiken für die langfristige seelische und körperliche Entwicklung einhergehen.” (R.Böhm)

Kann ich aus meiner Erfahrung im U3 Bereich nur bestätigen. Morgens heiße Tränen beim Verabschieden und dann ab mittags dieses sich steigernde ängstliche Vergewissern, ob Mama/Papa ganz bestimmt wieder kommen. Manche der Kleinen sind zwischen 7 und 9 Stunden in der Einrichtung. Das ist an vielen Tagen schlichtweg zu lang. Zum Wohl des Kindes ist das nach meiner Meinung alles nicht. Und dann beschweren sich die Eltern auch noch, dass ihr Kind abends nicht einschläft bzw. in der Nacht unruhig schläft und verlangen von der Betreuung, die Kinder mittags nur ja nicht zu lange schlafen zu lassen, da sie hierin die einzige Ursache für ihre gestörte Nachtruhe sehen. Das ist alles so gaga, Leute. Immerhin lerne ich gerade voller Optimismus: Meine Berufssparte, die der Therapeuten, wird in Zukunft nicht arbeitslos werden. *grummel


Nein, dich interessiert nicht wirklich,
dass es da schon Frühstück gibt.
Du weinst.
Nein, du willst dir nicht das neue Auto angucken,
oder mit Leon spielen.
Du weinst.
Nein, du willst nicht noch vom Fenster aus winken
und von der fremden Frau fest gehalten werden.
Du weinst.
Nein, du glaubst nicht, dass sie wieder kommen wird.
Du weinst.


Deine Tränen interessieren nicht. Sie werden mit Gedudel und glatten Lügen übertüncht. Animationsgedöns, bis Gefühle verschluckt werden und sich ein Lachen über deine Lippen drängt. Du spürst, dass du damit der Frau, die dich im Arm hält, eine Freude machst. Also schluckst du tapfer weiter und lachst und spielst und verteilst Freude. Nur ab und an, da werden deine Augen groß, sind weit weg und nass. Und wenn das Schlucken nicht mehr klappt, dann schubst du mal willkürlich, beißt oder schlägst um dich. Dann hält sie dich wieder, diese Frau und schenkt dir alleine für ein paar Minuten Aufmerksamkeit. Dein leises Weinen hören sie nicht, dein Schreien und Toben schon. Was lernst du nur daraus, Kind?